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Eine spannende Alternative zu Wechselstrom

Nachhaltigkeit
Mit Ultra-Hochspannungs-Gleichstrom lässt sich Energie über längere Strecken und mit geringeren Verlusten transportieren.

China hat einen enormen Energiehunger. Gnadenlos befeuert wird dieser Bedarf an Energie von einer rasant wachsenden Mittelschicht. Laut der nationalen Energiebehörde Chinas steigt der Stromverbrauch derzeit um etwa 8 Prozent pro Jahr – doppelt so stark wie in den USA.

Doch dieser Energiehunger muss nicht zwangsläufig schädlich für die Umwelt sein. China ist in der Lage, seinen Energiebedarf mit Strom aus seinen Wasserkraftwerken zu decken. Leider liegen die meisten dieser Kraftwerke weit von den urbanen Zentren an der Küste entfernt, in denen der Grossteil der Energie des Landes verbraucht wird.

Chinas Lösung für das Problem: eine moderne Energieübertragungstechnologie, mit der sich grosse Distanzen überbrücken lassen – eine Technologie, deren Ursprünge ironischerweise in die Anfangsjahre der Elektrizität zurückreichen.

2010 wurde China zum ersten Land, das die Ultra-Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (UHGÜ) einführte. Obwohl sich selbst der Urvater der Elektrizität Thomas Edison im späten 19. Jahrhundert für die Gleichstromübertragung einsetzte, wurde der Wechselstrom zum Standard, da seine Umwandlung von den sehr hohen Spannungen, die für Fernübertragungsleitungen nötig sind, auf die viel niedrigeren Spannungen, die in den Haushalten zum Einsatz kommen, deutlich leichter war.

Die Kehrseite der Medaille besteht darin, dass bei seiner Übertragung Leistung verloren geht. Grund dafür ist, dass die Richtung des Stroms regelmässig wechselt (deshalb „Wechselstrom“), was eine nicht unerhebliche Menge an Strom verbraucht. Bei gleicher Spannung entstehen bei einem Wechselstromsystem etwa doppelt so hohe Verluste wie bei einem Gleichstromsystem.

Zum Vergleich: Das UHGÜ-System, das mithilfe der internationalen Unternehmen Siemens und ABB Group gebaut wurde, überträgt 6,4 Gigawatt Strom von der Xiangjiaba-Talsperre in der Provinz Sichuan in das fast 2.000 km entfernte Schanghai, und das mit einer Spannung von 800 Kilovolt (kV), dem Doppelten gewöhnlicher Fernübertragungssysteme.

Das UHGÜ-System könnte theoretisch sogar bis zu 10 Gigawatt stemmen – genug, um fast 20 Millionen chinesische Haushalte mit Strom zu versorgen. Und das ist erst der Anfang der Ultra-Hochspannungsleitungen. Anfang 2018 lieferte Siemens den weltweit ersten 1.100-kV-Transformator an China aus, der bis zu 13 GW übertragen kann, was etwa der Leistung von 10 Atomkraftwerken entspricht. „Wenn man Distanzen von mehreren Tausend Kilometern überbrücken will, muss man einfach Systeme mit höherer Spannung bauen“, meint Frank Schettler, Product Lifecycle Manager in der HVDC-PLUS-Abteilung von Siemens.

Strom für die Welt

Doch das Gleichstromsystem ermöglicht nicht nur eine bessere Energieübertragung. Bei einigen seiner Komponenten lässt sich auch Material einsparen, was sie kostengünstiger und umweltfreundlicher macht. Typische Wechselstromsysteme arbeiten mit sechs Leitern, bei Gleichstrom sind es dagegen nur drei geringfügig grössere Leiter. Das bedeutet, dass bei Gleichstromsystemen weniger Aluminium für die Leiter benötigt wird, aber auch, dass die Masten kleiner sein und mit weniger Stahl gebaut werden können, da sie weniger Gewicht tragen müssen – ganz zu schweigen von der kleineren Standfläche.

All diese Faktoren tragen zu geringeren Kosten bei.

„Ab einer Distanz von 1.100 Kilometern sinken die Investitionskosten für ein 800-kV-System im Vergleich zu einem Wechselstromsystem ganz erheblich“, sagt Neil Kirby, HVDC Business Development Manager im Geschäftsbereich Grid Solutions von GE Power, mit dessen Hilfe 2017 die erste Phase der Installation eines Übertragungssystems mit 800 kV und 6.000 MW umgesetzt wurde.

Zum Teil werden die Einsparungen durch die Kosten für den Bau und Betrieb besonderer Stationen aufgewogen, die an beiden Enden der Leitung zur Umwandlung von Wechselstrom in Gleichstrom und umgekehrt nötig sind. Diese Stationen können sehr teuer sein. Kirby schätzt, dass die Kosten eines Paares in manchen Fällen bei bis zu 1 Mrd. USD liegen können. Dazu kommen bestimmte Variablen – wie etwa die Konstruktion des Systems, die Erzeugungskosten und die Energiepreise – die dazu führen, dass sich nur schwer vorhersagen lässt, ab welchem Punkt genau UHGÜ-Systeme kostengünstiger sind. Doch in manchen Situationen sind sie bereits kostengünstiger.

Schwellentechnologien für Schwellenländer

Die besten Aussichten für UHGÜ-Systeme bieten sich – zumindest vorerst – in grösseren Ländern, die in der Lage sind, grosse Mengen an Energie zu erzeugen, und diese in weit entfernte Städte transportieren müssen.

Neben China und Indien, wo 2017 die erste Phase der Installation eines Übertragungssystems mit 800 kV und 6.000 MW abgeschlossen wurde, ist Brasilien ein potenzieller Markt. Hier stammen mehr als 75 Prozent des Energieangebots aus Wasserkraft und ein entsprechendes Projekt wurde bereits in die Wege geleitet. Der Grossteil der Wasserkraft Brasiliens wird im Bundesstaat Amazonas im Norden erzeugt, doch die grössten Stromverbraucher sind Städte im Südosten des Landes wie Rio de Janeiro und São Paulo.

Auch der Bau von UHGÜ-Systemen zur Übertragung von Energie aus Offshore-Windparks in der Nordsee oder von Solaranlagen in der Wüste ist im Gespräch. Hier kommen zu den technischen Herausforderungen allerdings noch organisatorische  hinzu: Für solche Projekte müssten Staatsgrenzen überschritten und Abkommen zwischen verschiedenen Regierungen und konkurrierenden Stromanbietern geschmiedet werden.

Ram Adapa, technischer Leiter im Bereich Energiebereitstellung und -nutzung des Electric Power Research Institute, einer gemeinnützigen Organisation in Palo Alto, Kalifornien, verweist auf ein HGÜ-Projekt mit einer Spannung von 600 kV, mit dem Strom von Windparks in Oklahoma zu Kunden in Memphis, Tennessee, übertragen werden sollte. Doch Arkansas, das zwischen den beiden Bundesstaaten liegt, weigerte sich, den Bau von Überlandleitungen auf seinem Gebiet zuzulassen. 2018 entzog das US-Energieministerium dem Projekt schliesslich seine Unterstützung.

Auch wenn in den USA also Interesse vorhanden ist, wird die Zukunft der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung wohl in den Schwellenländern liegen.