Er ist der Treibstoff der Zukunft. Auch heute noch, wo die Zukunft von einst längst Gegenwart ist. Das ist der Fluch des Wasserstoffs. Er mag allgegenwärtig und sauber sein und ein hohes Leistungspotenzial haben, doch in reiner Form kommt er auf der Erde nicht vor.
Seine Gewinnung ist sowohl zeitaufwändig als auch teuer. Und das entsprechende Verfahren kann zudem auch gefährlich sein, da es meist mit hohen Temperaturen oder hohem Druck arbeitet.
Doch ein Forscherteam aus Israel hat nun eine neue Technologie entwickelt, mit dem dieses Problem bald der Vergangenheit angehören könnte. Das patentierte Verfahren, das auf einer chemischen Reaktion von Aluminium und Wasser basiert, könnte unsere Nutzung des Gases als Treibstoff für immer verändern.
„Das Bahnbrechende daran ist, dass wir den Wasserstoff unter normalen Umgebungsbedingungen herstellen, bei Raumtemperatur und unter normalem Luftdruck“, erklärt Dr. Shani Elitzur, die an der Erforschung der Methode an der Technion-Universität in Israel mitgewirkt hat.
„Ausserdem ist das Verfahren nicht allzu teuer, einfach in der Anwendung und umweltfreundlich.“
Im Gegensatz zu herkömmlichen Brennstoffquellen wie Rohöl oder Erdgas ist Wasserstoff so leicht und reaktionsfreudig, dass er sich sehr schnell mit anderen Elementen – wie Sauerstoff – verbindet.
Um ihn als Treibstoff nutzen zu können, muss er daher von diesen anderen Stoffen getrennt werden. Und genau das hat den Wissenschaftlern und Ingenieuren lange Kopfzerbrechen bereitet.
Traditionell gibt es dazu zwei Möglichkeiten. Die erste ist die sogenannte Reformierung, bei der Dampf mit sehr hohen Temperaturen von bis zu 1.000 °C eingesetzt wird, um den Wasserstoff aus Methan herauszulösen. Dieses Verfahren ist jedoch problematisch, da es teuer ist und Treibhausgase freisetzt.
Die zweite etablierte Methode zur Gewinnung von Wasserstoff ist die Elektrolyse, bei der Strom durch Wasser geleitet wird, um Wasserstoff und Sauerstoff voneinander zu trennen. Das ist zwar umweltfreundlicher als die Reformierung, aber ebenso teuer.
Das von Elitzur und ihren Kollegen Prof. Alon Gany and Dr. Valery Rosenband entwickelte Verfahren unterscheidet sich dadurch von den herkömmlichen Methoden, dass sich der Wasserstoff bei Zimmertemperatur herstellen lässt, indem ein spezielles aktiviertes Aluminiumpulver einfach mit Wasser gemischt wird.
Das Raffinierte an diesem Verfahren ist die Art und Weise, wie Aluminium und Wasser überhaupt dazu gebracht werden, miteinander zu reagieren. Wenn Aluminium der Luft ausgesetzt ist, verbindet es sich normalerweise mit Sauerstoff und wird zu Aluminiumoxid. Dieses Oxid umgibt das Aluminium als undurchdringliche Schicht und verhindert so eine Reaktion mit Wasser.
Doch Elitzur und ihr Team haben das Oxid mithilfe eines Lithium-basierten Aktivators entfernt und waren so in der Lage, unter normalen Umgebungsbedingungen eine Reaktion zwischen Wasser und Aluminium hervorzurufen und diese auch aufrechtzuerhalten.
Die Menge an Wasserstoff, die sich auf diese Weise gewinnen lässt, ist durchaus beachtlich.
Während einer Präsentation in London holte Elitzur kürzlich einen kleinen Behälter mit aktiviertem Aluminiumpulver und eine Flasche stilles Wasser hervor. Nur wenige Minuten, nachdem sie den Inhalt miteinander vermischt hatte, begann weisser Rauch aus einem Glaskolben aufzusteigen: Wasserstoff.
Elitzur zufolge funktioniert das Verfahren mit jeder Art von Wasser: Trinkwasser, Abwasser, Meerwasser, sogar Urin. Auch die Modifizierung des Aluminiumpulvers mit dem Lithium-basierten Aktivator ist einfach, sicher, sauber und relativ kostengünstig. Ein zusätzlicher Pluspunkt ist der nachhaltige und regenerative Charakter des Herstellungsprozesses: Das Nebenprodukt der chemischen Reaktion ist Aluminiumhydroxid, das wieder in Aluminium umgewandelt oder als Flammschutzmittel oder Rauchhemmer verwendet werden kann.
Ist der Wasserstoff erst einmal produziert, braucht es nur noch eine Brennstoffzelle, um das Gas in Strom umzuwandeln
Nach Angaben von Elitzur lässt sich aus 9 kg aktiviertem Aluminiumpulver 1 kg Wasserstoff herstellen. Das bedeutet, dass die Reaktion mit einem bemerkenswerten Umsatz von 90 Prozent aufwarten kann. Zudem könnte mit der Technologie bis zu zehnmal mehr elektrische Energie pro Masseneinheit gespeichert werden als mit herkömmlichen Akkus. Ein normal grosses Elektroauto würde 50 kg Aluminium und Wasser benötigen, um eine Strecke von 500 km zurückzulegen, so Elitzur.
Es fehle nicht mehr viel bis zur kommerziellen Nutzbarkeit der Technologie, erklärt sie. Das Team ist derzeit mit verschiedenen potenziellen Investoren im Gespräch. Das erste Produkt könnte in einigen Jahren auf den Markt kommen.
Elitzur verweist darauf, dass der auf diese Weise produzierte Wasserstoff vielfältige Anwendungsmöglichkeiten bietet und in Elektroautos, Notstromgeneratoren und Verkehrsflugzeugen eingesetzt werden könnte.
„Mit unserer Technologie kann Wasserstoff vor Ort und auf Abruf hergestellt werden. Dafür gibt es definitiv Vermarktungspotenzial. Wir wissen, dass das Verfahren funktioniert, und wir wissen, dass es skalierbar ist.“
Potenzial des Wasserstoffs
Schon seit Langem preisen Wissenschaftler Wasserstoff als den idealen Treibstoff. Der französische Schriftsteller Jules Verne sagte dem Gas in seinem Roman „Die geheimnisvolle Insel“ von 1874 eine goldene Zukunft voraus: „Ich bin davon überzeugt, meine Freunde, dass das Wasser dereinst als Brennstoff Verwendung findet, dass Wasserstoff und Sauerstoff, die Bestandteile desselben, zur unerschöpflichen ... Quelle der Wärme und des Lichtes werden... Das Wasser ist die Kohle der Zukunft.“
Die NASA verwendet Wasserstoff bereits seit den 1970er Jahren, um Raumfähren zu starten und Raketen in die Umlaufbahn zu schiessen. Flüssiger Wasserstoff ist Schätzungen zufolge mindestens dreimal effizienter als Benzin und andere fossile Brennstoffquellen.
Doch allen Verheissungen zum Trotz: Aus kommerzieller Sicht ist Wasserstoff bisher ein Flop. Da ist nicht nur das Problem der teuren Herstellung, auch Speicherung und Transport sind schwierig. Da Wasserstoff aussergewöhnlich reaktionsfreudig ist, muss er in komprimierter Form unter einem Druck von rund 70 bar aufbewahrt werden. Alternativ besteht die Möglichkeit, ihn bei einer Temperatur von –253 °C zu verflüssigen.
Ungeachtet dieser Nachteile gibt es vielerorts Bemühungen, das Potenzial des Wasserstoffs nutzbar zu machen. Im Rahmen einer Initiative zur Förderung sauberer Energiequellen plant Japan, bis 2020 10 Millionen Häuser – ein Viertel der Haushalte des Landes – mit Brennstoffzellen zu versorgen und die Zahl der Brennstoffzellenfahrzeuge auf der Strasse von heute 500 auf 200.000 zu steigern.http://www.meti.go.jp/english/press/2016/0322_05.html
In den USA hat Amazon Anteile am Wasserstoff-Brennstoffzellenhersteller Plug Power erworben, um die Technik für Gabelstapler in seinen Lagern zu nutzen. Wal-Mart hat ähnliche Pläne. Plug-Power-Gabelstapler können rund um die Uhr im Einsatz sein, da das Auftanken der Brennstoffzellen schneller geht als das Aufladen von Akkus. Einer Studie des US-amerikanischen National Renewable Energy Laboratory zufolge verursacht ein mit Wasserstoff betriebenes Modell bezogen auf eine Lebensdauer von zehn Jahren nur ein Zehntel der Kosten eines durchschnittlichen Gabelstaplers.https://www.nrel.gov/docs/fy13osti/56408.pdf
Die vielleicht umfassendste Wasserstoffinitiative hat Kalifornien gestartet. Einwohner, die in der Nähe der 30 Wasserstoff-Tankstellen des Bundesstaates wohnen, können für 369 USD pro Monat über drei Jahre ein Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeug leasen, das mit einer vollen Tankladung eine Reichweite von 589 Kilometern hat. Dazu erhalten sie ein Tankguthaben in Höhe von bis zu 15.000 USD.