Die Wüste ist wohl nicht der erste Ort, der in den Sinn kommt, wenn man auf der Suche nach industriell nutzbaren Mengen an Wasser ist. Doch glaubt man Wissenschaftlern und Unternehmern, die im Bereich des Gewässerschutzes tätig sind, verbergen sich in der trockenen Landschaft enorme Mengen des kühlen Nass. Man muss nur wissen, wie man herankommt.
Die Idee ist nicht (ganz) so abwegig, wie sie zunächst klingen mag. Selbst in Regionen mit extremen klimatischen Bedingungen ist die Luft voll von Wasserdampf. Traditionell waren Anlagen, die Wasser aus der Umgebungsluft kondensieren, in Betrieb und Wartung sehr teuer, doch inzwischen ist die Technologie so weit ausgereift, dass sie auch wirtschaftlich tragfähig ist.
Der Fortschritt kommt zur rechten Zeit. Denn nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation haben weltweit nahezu eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, und jedes Jahr sterben 840.000 Menschen an den Folgen verschmutzten Trinkwassers – nie wurde diese Art von Technologie dringender benötigt als jetzt.
Eines der innovativsten Unternehmen auf diesem Gebiet ist Water-Gen aus Israel. „Als (ehemalige) Offiziere der Armee wussten wir aus eigener Erfahrung, wie wichtig die Wasserversorgung in Konfliktsituationen ist und welche logistische Herausforderung es darstellt, Soldaten ausreichend hydriert zu halten“, erklärt Gründer und Co-CEO Arye Kohavi. „So kam uns die Idee, Wasser aus der Luft zu gewinnen und so direkt vor Ort Wasser zu erzeugen, also dort, wo es am dringendsten benötigt wird, ohne eine komplexe Infrastruktur oder einen teuren Transport, und noch wichtiger, aus einer erneuerbaren und unerschöpflichen Quelle.“
Wasser für 6.000 Menschen
Das Besondere am Water-Gen-System, auch liebevoll Genie genannt, ist seine Bauweise, die die Anlage äusserst energieeffizient macht und es ihr ermöglicht, täglich 3.000 Liter Wasser zu Kosten von 2 US-Cents pro Liter zu produzieren – genug, um den Durst von 1.500 Menschen zu stillen.
Das Unternehmen hat sein System bereits in Indien, den USA und Mexiko installiert. Eine ähnliche Lösung bietet das in Florida ansässige Unternehmen Aqua Sciences an. Ihre Notfallwasserstation mit einer täglichen Leistung von 12.000 Litern kann in Krisensituationen bis zu 6.000 Einwohner zu moderaten Kosten mit Trinkwasser versorgen.
Langfristig haben die Systeme von Water-Gen und Aqua Sciences jedoch beide zwei wesentliche Nachteile: Sie erfordern Energie (in der Regel elektrische Generatoren oder eine externe Stromversorgung) und geschultes Bedienpersonal. Als Nächstes plant Water-Gen deshalb, sein Genie mit Solarenergie zu betreiben. „Das würde völlig neue Möglichkeiten eröffnen“, sagt Kohavi.
Ein weiteres Unternehmen setzt bei der Erzeugung von Wasser aus Luft auf Windenergie. VICI Labs aus den USA hat den WaterSeer entwickelt, eine Art künstlichen Brunnen. Ein vertikales Windrad treibt hier die Blätter eines Ventilators an, der Luft in eine zwei Meter unter der Erde liegende Kammer saugt. Vom umliegenden Erdboden gekühlt, kondensiert der in der Luft enthaltene Wasserdampf und liefert so pro Tag bis zu 37 Liter reines Wasser. Ein „Hain“ mit 80 WaterSeern könnte genug Wasser produzieren, um 1.500 Menschen zu versorgen.
Ein Tropfen auf dem heissen Stein
In manchen Regionen der Erde kann das „Melken“ von Nebel eine günstigere Methode zur Wassergewinnung darstellen als das Entfeuchten der Luft. „Man braucht Energie, um den Wasserdampf aus der Atmosphäre in eine Flüssigkeit umzuwandeln“, erklärt der kanadische Wasserberater Roland V. Wahlgren. „Nebel ist bereits Wasser in flüssiger Form (Wolkentröpfchen), sodass keine Energie für einen Wechsel des Aggregatzustands nötig ist.“
Nebelkollektoren (auch als Nebelnetze oder Nebelfänger bezeichnet) werden bereits seit ewigen Zeiten zur passiven Gewinnung von Wasser genutzt. FogQuest aus Kanada errichtet seit knapp zwei Jahrzehnten Netze aus Polyethylen oder Polypropylen, um Nebel aufzufangen.
Es gibt viele Gebiete und sogar einige Städte, in denen es vielleicht keine andere Möglichkeit gibt, als Technologien zur Gewinnung von Wasser aus Luft einzusetzen, um das Problem der Wasserknappheit zu lösen.
Mit einer Grösse von bis zu 40 Quadratmetern hängen diese Netze wie Segel zwischen hohen Masten, vor allem in Bergregionen von Entwicklungsländern wie Chile, Haiti, Ecuador, der Dominikanischen Republik und Peru. Ein grosser Nebelkollektor kostet zwischen 1.000 und 1.500 USD und produziert 200 Liter Wasser pro Tag. Doch das funktioniert nur in Regionen mit regelmässigem Regen oder Nebel.
Die amerikanische Nichtregierungsorganisation Warka Water fängt neben Regen und Nebel auch Tau auf. Möglich macht dies eine spezielle Konstruktion, mit der pro Tag bis zu 100 Liter Wasser erzeugt werden können. Das Team, das vor Kurzem mit dem World Design Impact Prize ausgezeichnet wurde, stellt 9,5 Meter hohe bionische Wasserkollektor-Türme her – mit denen es Strukturen aus der Natur wie Termitenhügel und Kaktusstachel nachahmt. „Warka Water ist nicht ein bestimmtes Produkt, sondern eine Designphilosophie“, sagt Gründer Arturo Vittori. „Wir versuchen, lokale Materialien, lokale Ressourcen und die lokale Bevölkerung einzusetzen, und wir passen die Lösung an die lokale Kultur an.“ Das bedeutet zum Beispiel, dass die Rahmenstruktur aus lokal produziertem Bambus gefertigt wird und dass die Dorfbewohner – nach einem Schulungskurs – mit einfachen manuellen Werkzeugen selbst einen Warka-Turm bauen können.
Mit Geldern, die über eine Kickstarter-Kampagne gesammelt wurden, hat Warka Water einen Turm im Süden Äthiopiens gebaut, und ein neues Projekt in Zusammenarbeit mit Oxfam bereitet derzeit den Weg für einen Bau in Haiti. Geplant ist, 2019 mit der Massenproduktion zu beginnen. Die Warka-Water-Türme sollen rund 1.000 USD kosten.
Doch so vielversprechend dies alles auch klingt – das gesamte Konzept hat seine Grenzen. „Technologien zur Gewinnung von Wasser aus Luft sind Nischenlösungen, die am besten ergänzend und in Kombination mit anderen Technologien angewendet werden, die sich für den jeweiligen Standort eignen“, erklärt Wahlgren. „Nur wenige Regionen kommen für Nebelkollektoren infrage, und der Ertrag von Taukollektoren hängt vom Standort und der Jahreszeit ab. Es gibt jedoch viele Gebiete und sogar einige Städte, in denen es vielleicht keine andere Möglichkeit gibt, als Technologien zur Gewinnung von Wasser aus Luft einzusetzen, um das Problem der Wasserknappheit zu lösen.“
Warum können wir nicht einfach mehr Brunnen graben?
Zunächst einmal enthält nicht jedes Loch im Boden Wasser. Und selbst wenn das der Fall ist, ist das Wasser häufig nicht trinkbar. Sitzt das Wasser tief im Boden, sind Pedalpumpen und elektrische Geräte nötig, um es zutage zu befördern, und diese Geräte sind sowohl teuer als auch schwierig zu warten. Wenn wir zu viele Brunnen graben, besteht ausserdem die Gefahr einer Überbeanspruchung der Grundwasserleiter, d. h. der unterirdischen Gesteinsschicht, die in ihren Hohlräumen Wasser führt. Dies ist kontraproduktiv, da dadurch der Grundwasserspiegel absinkt und Brunnen und Quellen austrocknen.