Bei ihren Investitionen in börsennotierte Aktien oder traditionelle festverzinsliche Anlagen folgen die Investoren in der Regel einem globalen Ansatz.
Sobald sich ihr Fokus jedoch von den traditionellen Anlageklassen wegbewegt, neigen sie dazu, sich auf ihre heimischen Märkte oder – was immer häufiger der Fall ist – auf die USA zu konzentrieren.
Europa wird von amerikanischen und asiatischen Investoren häufig übersehen, wenn es um Investitionen in Alternative Credit geht, egal ob bei Direct Lending, Distressed oder Special Situations. Das kann sich nach unserer Ansicht als kostspielig erweisen. Es ist ein Irrglaube, dass Europa bei alternativen festverzinslichen Anlagen immer noch ein Nischenplayer ist. Der Private Credit Markt wächst dort schneller als der in den USA (siehe Abb. 1).
Ein weiterer Pluspunkt für Investoren ist, dass es in Europa im Gegensatz zum reiferen und gesättigteren US-Markt kein Überangebot an Kreditgebern gibt. Das ist entscheidend, denn wenn Unternehmen weniger Finanzierungsmöglichkeiten haben, können sich Kreditgeber höhere Renditen für die von ihnen gewährten Darlehen sichern – ein Faktor, der durch den im Verhältnis weniger effizienten und weniger harmonisierten Markt in Europa noch verstärkt wird.
Renditen für vorrangige Schuldtitel (in %)
Quelle: Lincoln International. Daten beziehen sich auf den Zeitraum 31.12.2018–31.12.2023.
Ein einfacher, aggregierter Vergleich der Renditen im Direct Lending in den letzten fünf Jahren bestätigt dies: Europa hat trotz seiner wesentlich niedrigeren Leitzinsen stets besser abgeschnitten als die USA. Darin spiegeln sich die attraktivere Aufschläge wider, die in Europa erzielt werden können (siehe Abb. 2). Bei näherer Betrachtung des dynamischen und noch weniger gesättigten unteren mittleren Marktsegments in Europa wird deutlich, dass vorrangig besicherte Darlehen, die unser Direct Lending Team in letzter Zeit ausgereicht hat, mit Aufschlägen von über 650 Basispunkten über dem Euribor vergeben wurden.
Es gibt noch weitere Faktoren, die Europa besonders machen. Zunächst einmal unterscheiden sich die Konjunkturzyklen und die sozioökonomischen Gegebenheiten in Europa erheblich von denen in Asien und den USA. Für das kommende Jahr erwarten unsere Wirtschaftsexperten beispielsweise eine Beschleunigung des Wachstums in Europa und eine Abkühlung in den USA.
Darüber hinaus gibt es in Europa eine Vielzahl von Ländern, Währungen und Branchen, die Möglichkeiten zur Portfoliodiversifizierung bieten – eine Anlagelandschaft, die potenziell vielfältiger ist als die in den USA oder Asien. Der mögliche Währungsbeitrag macht Investitionen in Europa attraktiv. Unsere Makroökonomen prognostizieren, dass der Euro gegenüber dem US-Dollar in den nächsten fünf Jahren um durchschnittlich 1,4% pro Jahr aufwerten wird, was die Renditen für USD-Investoren erhöht und eine Allokation in der Region umso attraktiver macht.
Unterschiedliche Ausgangsbedingungen
Aufgrund der Vielfalt der europäischen Alternative Credit Märkte ist die Streuung der Renditen über Länder und Sektoren hinweg im Allgemeinen höher als in den USA. Dies eröffnet versierten Fondsmanagern Anlagechancen, da sie leichter Arbitragemöglichkeiten – zum Beispiel über mehrere Länder hinweg – wahrnehmen und auf diese Weise diversifizierte Portfolios aufbauen können, die im Zeitverlauf auch widerstandsfähiger sind.
Bei liquideren Schuldtiteln und Leveraged Loans führt die Streuung zu Preisdiskrepanzen, die Investoren ausnutzen können.
Derzeit sieht unsere Direct Lending Strategie Potenzial in Sektoren mit niedrigem Beta (also solche, die tendenziell weniger volatil sind als der Gesamtmarkt, wie zum Beispiel der Bildungs- oder Gesundheitssektor) und in kleineren Unternehmen mit hohem Marktanteil in „Mikro-Nischen“ in Europa. Diese Unternehmen sind in der Regel sehr widerstandsfähig gegenüber konjunkturellen Schwankungen und führend auf ihren Märkten. Eine unserer jüngsten Investitionen ist ein deutscher Hersteller von Hightech-Laserköpfen „Made in Germany“ für medizinische Geräte, eine andere ein Technologieunternehmen, das Software für französische Immobilienentwickler entwickelt, die Energieeffizienzzertifikate benötigen. Dieses Unternehmen hat eine beherrschende Stellung in seinem Nischenmarkt aufgebaut.
Die Möglichkeiten auf dem europäischen Distressed & Special Situations Markt sind ebenso reichhaltig und vielfältig. Unsere Teams haben Longpositionen in ausgewählten europäischen Real Estate Investment Trusts (REITs) aufgebaut, die ihrer Meinung nach zu ungewöhnlich günstigen Preisen gehandelt wurden.
Der Sektor hat einige turbulente Jahre hinter sich, in denen er mit den Fehlentscheidungen zurechtkommen musste, die getroffen wurden, als die Zinssätze in Europa weit unter denen in den USA lagen. Damals versuchten Immobilienunternehmen, sich einen Vorteil zu verschaffen, indem sie hohe Kredite aufnahmen, um Immobilienerwerbe zu finanzieren; sie erhielten Ratings, die in vielen Fällen mindestens eine Stufe zu hoch waren.
Als die Zinssätze in der Eurozone mit dem Einsetzen der Inflation zu steigen begannen, fielen einige dieser Schuldtitel stark im Preis. Viele REIT-Instrumente werden mittlerweile auf Stressed- oder Distressed-Niveau gehandelt. Einige von ihnen sind auf ungerechtfertigt niedrige Bewertungen gefallen und bieten Investoren eine günstige Möglichkeit, sich im Wohn- und Gewerbeimmobiliensektor des europäischen Immobilienmarktes zu engagieren.
Aber auch die Anleihepreise können zu hoch sein. Auf den europäischen Anleihemärkten gibt es derzeit Sektoren, in denen die Renditen keinen ausreichenden Ausgleich für das Risiko bieten. In einigen Fällen spiegelt dies ein falsches Verständnis der tief verwurzelten Probleme wider, mit denen einige Unternehmen konfrontiert sind. Sie können auch Anlagechancen bieten – der Aufbau von Shortpositionen in diesen Wertpapieren kann hohe Renditen bringen, wenn die Kurse auf ein realistischeres Niveau fallen. Die Portfoliomanager unseres Distressed & Special Situations Debt Teams sehen solche Chancen bei einer Handvoll Sektoren, darunter die Chemieindustrie, die im Zuge des Russland-Ukraine-Krieges erst wieder Halt finden muss. Hier sehen sich viele europäische Unternehmen einem erheblichen langfristigen Wettbewerbsdruck ausgesetzt, da kostengünstigere Produzenten von ausserhalb der Region ihre Überlebensfähigkeit bedrohen.
Herausforderungen und Chancen
Das soll nicht heissen, dass die europäischen Märkte nicht auch ihre Herausforderungen und Risiken haben. Manch einer denkt dabei an das relativ schwache Wirtschaftswachstum in Europa in den letzten Jahren. Doch während die relative Wirtschaftsleistung für Investoren wichtig ist, die über ihre geografische Allokation in börsennotierten Aktien entscheiden müssen, halten wir sie für die Alternative Credit Märkte für weniger relevant. Hier ist vielmehr die Bottom-up-Fundamentalanalyse erfolgsentscheidend, und es wird immer Unternehmen geben, die sich gut (oder schlecht) entwickeln, unabhängig von der Wirtschaftslage.
Von grösserer Bedeutung für Anlageentscheidungen ist unseres Erachtens das komplexe Geflecht nationaler und regionaler Vorschriften. Während in den USA für alle Unternehmen das Konkursverfahren nach Chapter 11 gilt, hat in Europa jedes Land seine eigenen Umstrukturierungsvorschriften, die Kreditgeber beachten müssen, wenn sie beispielsweise als Gläubiger Sicherheiten stellen oder durchsetzen wollen. Unser internes Rechtsteam hat festgestellt, dass sich in einigen europäischen Ländern ein gläubigerfreundlicheres Umfeld entwickelt. Dies steht im Gegensatz zu den USA, wo die sogenannte „Gläubiger-gegen-Gläubiger-Gewalt“, die durch eine typischerweise lockerere Dokumentation ermöglicht wird, keine Seltenheit ist. Das komplexe rechtliche Geflecht birgt Risiken für unerfahrene Investoren, kann aber auch eine Quelle von Chancen für erfahrene Distressed-Investoren mit lokaler Kenntnis sein. Ein engmaschiges Netz lokaler Restrukturierungs- und Rechtsberater sowie praktische Erfahrung mit Investitionen über den gesamten Konjunkturzyklus hinweg sind entscheidend für die korrekte Bewertung des Kreditrisikos und der Erlösquoten.
An den alternativen Kreditmärkten ist die Bottom-up-Fundamentalanalyse entscheidend für den Erfolg, und es wird immer Unternehmen geben, die gut (oder schlecht) abschneiden, unabhängig von der Wirtschaftslage.
Viele Investoren, die Europa nicht auf dem Schirm haben, bringen das Argument an, dass die dortigen Kapitalmärkte von Banken dominiert sind: Trotz eines Rückgangs der Kreditvergabe in den letzten zehn Jahren entsprechen die Bankaktiva im Euroraum immer noch etwa 290% des BIP, in den USA sind es nur 120%.
Wir gehen jedoch davon aus, dass die Kreditvergabe der Banken angesichts der strengeren Regulierung (zum Beispiel Basel IV) weiter zurückgehen wird. Das öffnet die Tür für Private Debt und andere alternative Kreditquellen, die für einen Teil in die Bresche springen und in einigen Fällen zu attraktiven Zinssätzen Geld aufnehmen oder verleihen. Das gilt insbesondere für die Kreditvergabe an kleinere und mittelgrosse Unternehmen, deren Finanzierung durch die Banken zurückgegangen ist, da europäische Bankenkonzerne nun verpflichtet sind, bei der Kreditvergabe an KMU wesentlich grössere Kapitalpuffer vorzuhalten. In Europa gibt es rund 23 Millionen kleine und mittelgrosse Unternehmen, die fast zwei Drittel der Arbeitsplätze stellen und jährlich einen wirtschaftlichen Wert von 3,4 Bio. Euro schaffen. Daher haben potenzielle Kreditgeber, die keine Banken sind, eine grosse Auswahl, wo sie ihr Kapital einsetzen können.
Lokal vernetzt
Um dieser Komplexität zu begegnen, sind lokales Wissen und Expertise notwendig. Die jüngste politische Ungewissheit in Frankreich ist nur ein Beispiel dafür, warum die Investoren agil bleiben müssen. Sprachbarrieren, unterschiedliche Rechtssysteme, andere lokale Kulturen und Geschäftspraktiken, das alles sind Probleme, mit denen sich die US-Märkte nicht auseinandersetzen müssen.
Nichteuropäische Investoren, die Kapital in die Alternative Credit Märkte in Europa lenken wollen, sollten daher langjährige, nachweisliche und beständige Erfahrung sowie eine regionale Präsenz voraussetzen. Das sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren, um die sich bietenden Chancen zu nutzen.
Fest steht: Europa in Alternative Credit Portfolios einzubeziehen – über Direct Lending, Distressed & Special Situations oder Credit Dislocation Strategien – ist mehr als nur eine Diversifizierungsmassnahme. Aufgrund der einzigartigen Dynamik der Marktlandschaft laufen Investoren Gefahr, Alpha auf der Strecke zu lassen, wenn sie es übersehen.
Unsere Strategien für Alternative Credit
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European Direct Lending
Unsere europaweite Direct Lending Strategie zielt darauf ab, durch die Bereitstellung von vorrangig besicherten Fremdfinanzierungen für private leistungsfähige Unternehmen des unteren mittleren Marktsegments in Europa (EBITDA von 5–15 Mio. Euro) langfristig hohe risikobereinigte Erträge für die Investoren zu erzielen. Die Strategie wurde im Jahr 2023 aufgelegt und die Mitglieder des Teams agieren von London, Paris und Frankfurt aus.
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Distressed & Special Situations
Eine Absolute Return Long/Short Credit & Capital Structure Arbitrage Strategie, die sich auf finanziell angeschlagene und ausfallgefährdete Unternehmen, vor allem in Europa, konzentriert. Die Strategie wird von einem sehr erfahrenen, spezialisierten Team unter der Leitung von Galia Velimukhametova gemanagt und strebt hohe absolute Nettorenditen während des Zyklus an. Die Korrelation zu traditionellen Anlageklassen ist gering.
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Credit Dislocation
Ein speziell entwickeltes „Drawdown“-Vehikel, das zum attraktivsten Zeitpunkt im Zyklus in Dislocated Credit investiert, nämlich dann, wenn die Preise von den Fundamentaldaten abgekoppelt sind. Es wird von demselben erfahrenen Distressed Team wie oben gemanagt und kann als Instrument für die Portfoliodiversifizierung dienen und attraktive direktionale Renditen bieten.