Insgesamt: Renditeprognosen für die nächsten 5 Jahre
Die Strategie, die Anlagen eines Portfolios in etwa zu gleichen Teilen auf Aktien und Anleihen aus Industrieländern zu verteilen, hat sich in den letzten Jahrzehnten bewährt. Wer dieses Verhältnis eingehalten hat, konnte jährliche Renditen im hohen einstelligen Bereich erzielen – Gewinne, die dank eines stetigen Wirtschaftswachstums, nahezu stetig sinkender Zinssätze und Inflationsraten sowie relativ ruhiger Bedingungen an den Finanzmärkten möglich wurden.
Unsere Prognosen für die nächsten fünf Jahre zeigen jedoch, dass Anlegerinnen und Anleger einen anderen Weg einschlagen sollten, um vergleichbare Ergebnisse zu erreichen. Dazu gehört, weniger Kapital in die Industrieländer fliessen zu lassen, das Engagement in Vermögenswerte aus Schwellenländern zu erhöhen und deutlich mehr in Alternativen, insbesondere Rohstoffe und Gold, zu investieren.
Eine wesentliche Erkenntnis unserer Untersuchung ist, dass die Renditen an den Aktienmärkten einer ungünstigen Verschiebung des Konjunkturzyklus zum Opfer fallen werden. Die globale Wirtschaft nähert sich dem Ende ihrer expansiven Phase nach der COVID-Krise. Straffere finanzielle Rahmenbedingungen, ein Höchststand beim Beschäftigungswachstum in den USA und grosse Produktionslücken deuten auf eine Rezession in diesem oder im nächsten Jahr hin. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Investitionen. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob man im Vorfeld eines Einbruchs oder zu Beginn einer Erholung in Aktien investiert. Das gilt selbst für diejenigen, die über lange Zeiträume investieren.
Wie unsere Analyse der letzten 100 Jahre zeigt, konnte eine Erstanlage in Aktien aus Industrieländern nach dem Ende einer Rezession eine Kursrendite von 10% pro Jahr für die folgenden fünf Jahre erzielen; dagegen hat eine Anlage vor einer Rezession, wie es heute der Fall wäre, in der Regel nur eine annualisierte Rendite von 4% erbracht – also ein Minus von etwa 6% pro Jahr.
Chief Strategist and Senior Multi Asset Strategist
Ein weiteres Hindernis für die entwickelten Aktienmärkte ist der drohende Druck auf die Gewinnmargen der Unternehmen. Angesichts steigender Löhne und Rohstoffpreise, strengerer Vorschriften, die zu höheren Geschäftskosten führen, und voraussichtlich steigender Unternehmenssteuern ist in den nächsten fünf Jahren mit einem Rückgang der Margen um insgesamt 10% zu rechnen.
Doch nicht nur die Aktien der Industrieländer werden es schwer haben, an ihre bisherige Wertentwicklung anzuknüpfen. Auch die Staatsanleihen der Industrieländer werden in den nächsten fünf Jahren nur mit Mühe die Erwartungen der Anleger erfüllen können. Diese Anlageinstrumente galten traditionell als Anker für ein diversifiziertes Portfolio – eine wichtige Quelle für Erträge und Kapitalschutz in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit.
Ausserhalb der USA, wo die Erstbewertungen für Staatsanleihen und Investment-Grade-Anleihen dank des diesjährigen Renditeanstiegs attraktiver ausfallen, werden die Renditen von festverzinslichen Wertpapieren der Industrieländern in den nächsten fünf Jahren unter die Inflationsrate fallen.
Um die schwachen Renditen und Erträge in den Industrieländern auszugleichen, müssen die Anlegerinnen und Anleger ein ausgewogenes Verhältnis finden. Zum einen legt unsere Analyse nahe, dass die Portfolios im Schnitt höhere Gewichtungen an Aktien und Anleihen aus den Schwellenländern sowie an Rohstoffen benötigen werden, d.h. risikoreichere Anlagen mit höheren Renditeaussichten. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, dieses erhöhte Risiko mit einem stärkeren Engagement in solche Vermögenswerte zu flankieren, die sich nicht im Gleichschritt mit den breiten Aktien- und Anleihemärkten bewegen, wie etwa liquide alternative Anlagen, Gold und private Vermögenswerte.
Unter den Schwellenländern scheinen chinesische Aktien besonders attraktiv, und das Ertragspotenzial von Schwellenländeranleihen dürfte zunehmen, was durch die unserer Meinung nach stetige Aufwertung der Währungen der Entwicklungsländer noch verstärkt wird.
Unter den alternativen Anlagen sind Rohstoffe ohne Energie besonders attraktiv – ihre Renditen dürften in den nächsten fünf Jahren über der Inflation liegen.
Wie unsere Analyse zudem zeigt, haben sowohl Immobilien und als auch Private-Equity-Geschäfte in unserem fünfjährigen Prognosezeitraum besser abgeschnitten als Aktien aus Industrieländern. Unterdessen sind Allokationen in Gold und Infrastruktur zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll, um das Risiko zu streuen und die Portfolios vor einer möglicherweise anhaltend hohen – oder volatilen – Inflation zu schützen.
Anlegerinnen und Anleger können dem traditionellen ausgewogenen Portfolio aus Anleihen und Aktien treu bleiben, nehmen dabei jedoch eine geringere Rendite und eine potenziell höhere Volatilität in Kauf.
Die nächsten fünf Jahre werden für die Investorinnen und Investoren also viele Fragen aufwerfen: Sie können dem traditionellen ausgewogenen Portfolio aus Anleihen und Aktien treu bleiben, nehmen dabei jedoch eine geringere Rendite und eine potenziell höhere Volatilität in Kauf. Oder man beschreitet einen weniger bekannten Weg und verteilt mehr Kapital auf alternative Anlagen. Unsere Analyse deutet darauf hin, dass letztere Option die klügere Wahl ist.
Die Inflation ist zurück, nicht aber die 1970er Jahre
Die wieder aufkeimende Inflation im vergangenen Jahr hat Befürchtungen geweckt, die Weltwirtschaft sei in das Zeitalter der 1970er Jahre zurückgekehrt, als das Wachstum stagnierte und die Zentralbanken die Kontrolle über die Preisstabilität verloren hatten. Das scheint allzu pessimistisch.
Wir gehen davon aus, dass der Inflationsschub im Jahr 2022 im Grossen und Ganzen nur von relativ kurzer Dauer sein wird. Wir denken aber auch, dass die Inflationsraten in den grossen Volkswirtschaften nicht auf das sehr niedrige und stabile Niveau zurückkehren werden, das seit Beginn der 1990er Jahre weitgehend vorherrschte.
Wir gehen eher davon aus, dass die Gleichgewichtsrate etwas höher sein wird, bei einer wesentlich höheren Volatilität der Ergebnisse, die wir in der entwickelten Welt überwiegend zwischen 2% und 3% sehen (wenn auch mit immer häufigeren Spitzen in beide Richtungen).
Entscheidend ist, dass es – anders als in den 1970er Jahren – kaum Anzeichen dafür gibt, dass sich die Inflation auf die Lohnforderungen auswirkt. Die Lohnforderungen wurden eingebunden, als die Inflationserwartungen zu steigen begannen. Diesmal haben die Zentralbanken ihre Bemühungen um langfristige Preisstabilität gezügelt.
Sobald sich die durch Covid verursachten Lieferengpässe auflösen und die Auswirkungen der russischen Invasion in der Ukraine auf die Rohstoffpreise abklingen, wird der Preisdruck nachlassen. Letztendlich wird die Inflation jedoch durch die Wirtschaftspolitik bestimmt, denn sie ist das Ergebnis politischer Entscheidungen, und die Verantwortlichen der Politik scheinen ihre Lehren aus der hohen Inflation gezogen zu haben.
Das Vermächtnis der COVID-Krise und der Ukrainekrise
In den letzten beiden Jahren gab es nicht nur ein, sondern gleich zwei prägende epochale Ereignisse: die Pandemie und den Krieg in der Ukraine. In der Summe werden sie ein weitreichendes wirtschaftliches und gesellschaftliches Vermächtnis hinterlassen.
Die stetig bröckelnde Vormachtstellung der USA, der ökologische Wandel und der Wunsch nach widerstandsfähigeren Lieferketten sowohl seitens der Unternehmen als auch seitens der Regierungen mögen schon vor der Pandemie sichtbar gewesen sein, doch alle drei Phänomene dürften durch Corona und die russische Invasion noch an Dynamik gewinnen.
Bei der Steuerpolitik stehen aufgrund der Pandemie und des Kriegs die Zeichen wohl auf steigende Staatsausgaben, insbesondere in den Industrieländern. Das wiederum wird durch mehr Kreditaufnahmen finanziert, was die Anleiherenditen sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern in die Höhe treibt.
Zugleich haben die Zentralbanken weltweit bewiesen, dass sie geschlossen und in grossem Massstab handeln können und keine innovativen, komplexen Instrumente scheuen, um ihre Ziele zu erreichen. Nun existiert ein Referenzplan für künftige Krisen, weil die Zentralbanken auf eine Erfolgsbilanz bei der Bereitstellung von Liquidität nicht nur für Geschäftsbanken, sondern direkt für den privaten Sektor verweisen können.
Der Wegfall des Washington-Konsenses und seine Auswirkungen auf die Kapitalallokation
Eine der tiefgreifendsten und umfangreichsten strukturellen Entwicklungen des vergangenen Jahrzehnts mit Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ist der langsame, aber stetige Niedergang der neoliberalen Weltordnung und ihres wirtschaftlichen Gegenparts, des Washington-Konsenses. Auf dieses Phänomen sind wir schon in früheren Ausgaben des Secular Outlook eingegangen, doch die Covid-19-Pandemie und der Ukrainekrieg haben den Wandel erheblich beschleunigt, weshalb an dieser Stelle ein genauerer Blick erforderlich ist.
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns damit, wie sich das Schwinden der regelbasierten globalen Ordnung auf den Finanzmarkt auswirkt und insbesondere die Allokation von Kapital verzerrt hat, die letztlich die Kapitalrendite bestimmt.
Die neoliberale Ordnung wurde in den von hoher Inflation geplagten 1970er Jahren als Gegenmittel zu dem lanciert, was die Regierungen als Versagen der keynesianischen Wirtschaftspolitik betrachteten. Wirtschaftlich basierte diese neue Grundordnung auf sechs Säulen:
- Haushaltspolitische Disziplin bzw. „wenig Staat“, was durch eine strenge Kontrolle der öffentlichen Ausgaben gekennzeichnet ist
- Steuerreform, eine Ausweitung der Steuerbemessungsgrundlage und die Einführung moderater Grenzsteuersätze
- Marktbestimmte Zinssätze und Wechselkurse
- Privatisierung staatlicher Unternehmen und Deregulierung
- Liberalisierung der Waren- und Kapitalströme
- Strikte Durchsetzung von Eigentumsrechten und anderen Rechtsansprüchen
Wir untersuchen, wie das Schwinden der regelbasierten globalen Ordnung die Allokation von Kapital verzerrt hat, die letztlich die Kapitalrendite bestimmt.
Und das neue System hat funktioniert. Die Weltwirtschaft erlebte ein goldenes Zeitalter, das von rasanten Produktivitätssteigerungen, wachsenden Handelsvolumina und dem Aufstieg Chinas zur neuen wirtschaftlichen Supermacht geprägt war. Auch die Finanzmärkte profitierten erheblich: Die Aktienmärkte erlebten eine der längsten und stärksten Haussen aller Zeiten, die Risikoprämien sanken auf nahezu null und die Anleiherenditen fielen drastisch, da der Inflationsdruck nachliess.
Mit der globalen Finanzkrise 2008 war all das vorbei. Infolge der Krise setzte eine Phase intensiver Selbstanalyse unter den politischen Entscheidungsträgern ein, was zu einem stetigen Abbau des Washingtoner Konsenses und einer Renaissance eines stärker interventionistischen Staates führte. Der Wendepunkt war die Einführung der quantitativen Lockerung in den Jahren 2008–2009 durch alle grossen Zentralbanken, durch die sie zu den ersten und letzten Käuferinnen und Käufern von Staatsanleihen wurden und damit die realen Kapitalkosten für die Anlegerinnen und Anleger festlegten. Die quantitative Lockerung war als vorübergehende Lösung für eine Notsituation gedacht.
Doch als sich diese Notlagen häuften, wurde die quantitative Lockerung nicht nur zur Standardlösung, auch die nationalen Regierungen setzten – angespornt von den Wählern – auf eine strengere Regulierung der Wirtschaft und der Finanzen. Infolgedessen wird nun die Aufgabe der Finanzmärkte – d.h. Kapital aus den Rücklagen effizient an die Unternehmen weiterzuleiten, um die Rendite und Produktivität mit möglichst wenig Störungen und Volatilität zu maximieren – auf die Probe gestellt.