In den vergangenen zwölf Monaten sind die globalen Temperaturen um 1,5 °C über das vorindustrielle Niveau gestiegen, was zu extremen Wetterereignissen geführt und das Risiko des Überschreitens kritischer Schwellen im Klimasystem, sogenannter Kipp-Punkte, erhöht hat.
Nach Ansicht der Wissenschaft gibt es nur eine einzige Hoffnung, das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, zu erreichen, nämlich die Senkung der Treibhausgasemissionen bis zum Ende dieses Jahrzehnts um 42%.
Ein Grossteil davon kann durch die Verbreitung erneuerbarer Energien und grüner Technologien wie Elektrofahrzeuge erreicht werden. Aber das allein kann nicht alle CO2-Emissionen reduzieren, insbesondere nicht in den nur schwer zu dekarbonisierenden Industrien wie der Landwirtschaft und Chemie. Hier kommt die Kohlenstoffentfernung (Carbon Dioxide Removal, CDR) ins Spiel, eine Technologie, die der Atmosphäre Kohlenstoff entzieht.
CDR ist eine umstrittene Technologie, die Wissenschaftler und Politiker spaltet. Skeptiker wie der US-Sonderbeauftragte für das Klima John Kerry warnen, dass CDR kein Ersatz für die Reduzierung der Emissionen ist. Sie argumentieren, dass die Technologie, selbst wenn sie noch so breiten Einsatz findet, aufgrund der mit ihr verbundenen Risiken und Kompromisse nicht verhindern wird, dass die Welt das Pariser Klimaziel überschreitet.
Doch trotz aller Unzulänglichkeiten wird CDR zunehmend als entscheidend für die Erreichung der Netto-Null-Ziele angesehen.
Der Weltklimarat (IPCC) beispielsweise erkennt mittlerweile an, dass der Einsatz von CDR für die Bekämpfung des Klimawandels von entscheidender Bedeutung und „unvermeidlich“ ist. Dem IPCC zufolge kann CDR langfristig negative Netto-Treibhausgasemissionen bewirken und diesen Status aufrechterhalten, was erforderlich ist, um die Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen.
Die traditionellste Lösung für die Entfernung von CO2 sind Baumpflanzungen, eine neuere, naturbasierte Lösung ist das Enhanced Rock Weathering (ERW), eine Technologie, die sich die natürliche Fähigkeit von Vulkangestein zunutze macht, Treibhausgase einzuschliessen.
Aufforstung, Wiederaufforstung, verbesserte Waldbewirtschaftung | CO2-Speicherung im Boden | Biokohle* | Direkte Kohlenstoffabscheidung aus der Luft und -speicherung (DACCS) | Enhanced Rock Weathering | |
Kosten (USD pro Tonne CO2) | 0-50 | 45-100 | 10-345 | 600-900 | 50-200 |
Speicherzeitraum | Jahrzehnte bis Jahrhunderte | Jahrhunderte bis Jahrtausende | 10.000+ Jahre | 10.000+ Jahre | |
Kompromisse und Risiken | Grosser Flächenbedarf; mögliche Auswirkungen auf die biologische Vielfalt; Speicherzeitraum kann variieren | Belastung durch Staub; Konkurrenz um Biomasse | Hoher Energiebedarf; hohe Investitions- und Betriebskosten | Staubemissionen; potenziell höhere Emissionen bei der Energieerzeugung |
* Bei Biokohle handelt es sich um eine Technologie mit negativen Emissionen, bei der das in der Biomasse gespeicherte CO2 in einem als Pyrolyse bezeichneten Prozess durch hohe Hitze in eine feste Substanz umgewandelt wird.
Quelle: IPCC AR6 WGIII, 2022, A Review of Forest Carbon Sequestration Cost Studies
Neuere, teurere Technologien, bei denen Kohlenstoff direkt aus der Atmosphäre abgeschieden wird, werden zunehmend interessanter für Investoren.
Finanziers wie Max Zeller, Gründungspartner von Carbon Removal Partners, einem in Zürich ansässigen Beratungsunternehmen für Risikokapitalinvestitionen, sind der Meinung, dass der Branche ein rasantes Wachstum bevorsteht.
„Auf dem Weg zu einer Netto-Null-Wirtschaft werden wir eine Industrie schaffen, die so gross ist wie heute der Öl- und Gassektor“, sagte er.
Zeller erläuterte, dass nach wissenschaftlichen Schätzungen bis Mitte des Jahrhunderts etwa 7–9 Gigatonnen CO2 pro Jahr eingespart werden müssen, um die Welt wieder auf den Pariser Kurs zu bringen.
„Geht man von einem Preis von 150 US-Dollar pro Tonne aus – was die langfristigen Kosten für die Erreichung negativer Emissionen widerspiegeln könnte –, hat dies das Potenzial, einen Markt im Wert von 1 Bio. US-Dollar zu schaffen“, sagte er.
In die Versenkung
Der Risikokapitalfonds von Carbon Removal Partners ist unter anderem an dem Schweizer Unternehmen Climeworks beteiligt, das weltweit Anlagen zur direkten Kohlenstoffabscheidung aus der Luft (Direct Air Capture, DAC) betreibt und entwickelt.
Die DAC-Technologie, die CO2 aus der Luft filtert, ist mehr als 100 Mal so flächeneffizient wie die Aufforstung, ist aber aufgrund der neuartigen Technologie sehr kostspielig. Die typischen Stromgestehungskosten – eine Masseinheit, die die Kosten für die Errichtung und den jährlichen Betrieb einer Anlage ins Verhältnis zur Stromerzeugungsmenge über die gesamte Lebensdauer der Anlage setzt – werden auf mehrere hundert US-Dollar pro Tonne abgeschiedenes CO2 geschätzt und sind damit teurer als Aufforstung und Wiederaufforstung.Daniel, T. et al, Techno-economic Analysis of Direct Air Carbon Capture with CO2 Utilisation; Dezember 2021; IPCC
Aber das Unternehmen setzt alles daran, die Produktionskosten zu senken.
Die neueste DAC-Version bindet bis 2030 mehr als doppelt so viel CO2 wie das Vorgängerprodukt und die Kosten liegen bei 250–350 US-Dollar pro Tonne.
Zeller ist überzeugt, dass sich die CDR-Branche zu einer wichtigen Säule der Green Economy entwickeln wird, da sich die damit verbundenen Dienstleistungen – wie Kohlenstoffbilanzierung, Berichterstattung und Handel mit Emissionsgutschriften – um die Kohlenstoffentfernung herum entwickeln und eine eigene Wertschöpfungskette bilden werden.
Der Fonds von Carbon Removal Partners hat auch in ein Unternehmen investiert, das einen Marktplatz für Emissionsgutschriften entwickelt, ebenso wie in ein Unternehmen, das sich auf die Messung, Berichterstattung und Überprüfung (Measurement, Reporting & Verification, MRV) im Bereich des Kohlenstoffabbaus spezialisiert hat.
MRV – laut Bloomberg die drei wichtigsten Buchstaben im Bereich der Kohlenstoffabscheidung – ist eine schnell wachsende Branche, auf die schätzungsweise 10 Prozent des weltweiten CDR-Umsatzes entfallen wird.BCG, Juni 2024
Die Nachfrage nach der Erfassung und Überprüfung von Klimadaten dürfte steigen, da die Politik, egal ob in den USA, der EU oder China, einen ganzen Schwung neuer Vorschriften einführen wird, die von den Unternehmen mehr Transparenz und eine stärkere Rechenschaftspflicht in Bezug auf Klimarisiken verlangen.
In den USA beispielsweise könnten in den nächsten Jahren neue Vorschriften in Kraft treten, die zwei von fünf börsennotierten Unternehmen dazu verpflichten, über verschiedene klimabezogene Risiken zu berichten – eine mögliche Blaupause für andere Länder.Weitere Informationen finden Sie unter https://am.pictet.com/de/de/individuals/mega/2024/offenlegung-von-klimarisiken (Pictet Asset Management, Mai 2024).
Die Entwicklung der neuen Green Economy
Zeller ist nicht der einzige, der vom Wachstumspotenzial der CDR-Lieferkette überzeugt ist. Es gibt viele Investoren, etablierte wie neue, die auf diesen Trend setzen.
So arbeitet sein Unternehmen beispielsweise mit der Grantham Foundation und GIC, dem Staatsfonds von Singapur, zusammen, um Kapital für die CDR-Branche bereitzustellen.
Im vergangenen Jahr flossen 1,2 Mrd. US-Dollar an Startinvestitionen in die CDR-Branche, davon entfielen 11% auf DAC und 33% auf unterstützende Dienstleistungen.2023 Investment Landscape in Carbon Removal, CDR.fyi, Januar 2024 Der Gesamtwert entsprach jedoch nur 4 Prozent der Investitionen in Klimatechnologie – das macht deutlich, wie gross das Wachstumspotenzial ist.
Der erste Fonds von Carbon Removal Partners zielt darauf ab, in den nächsten zehn Jahren das Dreifache des in ein CDR-Technologieportfolio investierten Betrags zu erwirtschaften. Bislang ist das Unternehmen angesichts des Nachfrageschubs aus Branchen wie der Öl- und Gasindustrie und der Big-Tech-Branche optimistisch.
Zeller sieht die grössten Geschäftschancen darin, dass neuartige Anbieter ihre Technologien über die gesamte CDR-Wertschöpfungskette hinweg skalieren.
„Hier können wir unser Kapitel ins Spiel bringen“, sagt er.