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Der Verlust der biologischen Vielfalt entwickelt sich zu einem wesentlichen finanziellen Risiko

Aktive Aktien
Risiken im Zusammenhang mit dem Verlust der biologischen Vielfalt und der Verschlechterung der Ökosysteme wirken sich zunehmend auf die Bewertungen von Unternehmen und deren Finanzierungskonditionen aus.

Der Verlust der biologischen Vielfalt bereitet Wissenschaftlern und Naturschützern schon lange Sorge. Neue Studien zeigen nun, dass dieser Biodiversitätsverlust zu einem wesentlichen finanziellen Risiko für börsennotierte Unternehmen und ihre Investoren geworden ist.

Mehrere in diesem Jahr veröffentlichte Studien haben ergeben, dass sich biodiversitätsbezogene Risiken zunehmend auf die Bewertungen von Unternehmen auswirken.

Eine vom Swiss Finance Institute veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass die von Investoren geforderten Risikoprämien für Aktien von Unternehmen mit einem grösseren Biodiversitäts-Fussabdruck in den letzten zwei Jahren gestiegen sind.Garel, A. et al, Do Investors Care About Biodiversity? (26. Mai 2023). Swiss Finance Institute Research Paper No. 23-24, European Corporate Governance Institute – Finance Working Paper No. 905/2023 https://ssrn.com/abstract=4398110

Basierend auf einer Analyse der Aktienrenditen von mehr als 2.000 Unternehmen aus 32 Ländern stellten die Forscher einen zusätzlichen monatlichen Anstieg der Risikoprämie um 23 Basispunkte bzw. einen jährlichen Anstieg um 2,8% bei einer Vergrösserung ihres Biodiversitäts-Fussabdrucks um eine Standardabweichung fest.Der Biodiversitäts-Fussabdruck wurde anhand einer Messgrösse berechnet, die auf einem artenbasierten Indikator für die Intaktheit der Biodiversität basiert.

Zu den Unternehmen mit dem grössten durchschnittlichen Biodiversitäts-Fussabdruck in der Wertschöpfungskette gehörten jene, die in Branchen wie Einzelhandel und Grosshandel, Papier und Forstwirtschaft sowie Nahrungsmittel tätig sind.

Zu den Sektoren mit dem geringsten Fussabdruck zählten Freizeit, Dienstleistungen und Bildung.

Bemerkenswerterweise erfolgte die Erhöhung der Prämie etwa zur Zeit des Kunming-Biodiversitätsgipfels im Oktober 2021, der der erste Teil der COP15 war. Während die endgültige Vereinbarung über einen Global Biodiversity Framework (GBF) später im Dezember 2022 in Montreal erreicht wurde, gilt das Treffen in Kunming als Grundlage und als Beitrag zur Sensibilisierung der Investoren für den Verlust der Artenvielfalt und zur Aussicht auf zukünftige Eingriffe der Behörden.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Investoren davon ausgehen, dass die neuen Vorschriften auf geschäftliche Aktivitäten mit einem grossen ökologischen Fussabdruck abzielen werden. Als Folge der damit verbundenen politischen Unsicherheit bildet sich allmählich eine Prämie für den ökologischen Fussabdruck heraus“, so die Studie.

„Wir schliessen uns Forschungsbeiträgen aus jüngerer Zeit an, wonach ESG-Risiken zunehmend eingepreist werden, und belegen, dass dies neben dem Klimawandel das zentrale ESG-Thema bei institutionellen Investoren ist.“

Das GBF sieht ein Ziel vor, für dessen Erreichung grosse Unternehmen und Finanzinstitute ihre Auswirkungen auf die biologische Vielfalt sowie die Risiken, denen sie durch den Verlust der biologischen Vielfalt ausgesetzt sind, überwachen und offenlegen müssen.https://www.cbd.int/article/cop15-cbd-press-release-final-19dec2022

Diese Anforderungen gelten für die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens – und bei Finanzinstituten bis auf Ebene der Portfolioanlagen.

Das Forschungsteam aus Europa stellte ausserdem fest, dass Unternehmen mit einem grossen Biodiversitäts-Fussabdruck in den drei Tagen nach dem Treffen in Kunming einen kumulativen Aktienkursrückgang von 1,18 Prozent im Vergleich zu Aktien mit kleinem Fussabdruck verzeichneten.

Abb. 1 Erwartete Renditen nach Faktor

Auswirkung von CO2- und biodiversitätsbasierten Risikofaktoren auf erwartete Renditen von Unternehmen mit grossem Biodiversitäts-Fussabdruck

Quelle: Coqueret und Giroux. Die Methodik ist hier detailliert erläutert.

Entstehung einer Risikoprämie

Weitere Studien lassen darauf schliessen, dass es bereits 2010 eine Risikoprämie für biologische Vielfalt gegeben haben könnte.

In einem vom National Bureau of Economic Research veröffentlichten Arbeitspapier wurden Jahresabschlüsse und Jahresberichte von Unternehmen aus den Jahren 2010 bis 2020 analysiert. Den Analysen zufolge entwickelten sich die Aktienkurse von Unternehmen, die einem höheren Biodiversitätsrisiko ausgesetzt waren, bei einer Zunahme des Biodiversitätsrisikos schlechter als andere.Giglio, S. et al, Biodiversity Risk (4. April 2023). https://www.nber.org/papers/w31137

Um festzustellen, inwieweit Biodiversitätsrisiken in den Aktienkursen eingepreist sind, führten die Forscher eine zweistufige Studie durch.

Zunächst entwickelten sie mit einem NLP-Modell (zur Verarbeitung natürlicher Sprache) ein nachrichtenbasiertes Mass für das Biodiversitätsrisiko.

Anschliessend erstellten sie Aktien-Modellportfolios für verschiedene Sektoren und gruppierten sie danach, inwieweit sie nach Einschätzung der Forscher dem Biodiversitätsrisiko ausgesetzt sind.

Die Portfolios enthielten Longpositionen in Branchen mit geringem Biodiversitätsrisiko – wie Halbleiter, Software und Kommunikationsdienstleistungen – und Shortpositionen in Branchen mit hohem Biodiversitätsrisiko – darunter Energie, Versorgungsunternehmen und Immobilien.

Die Forscher gingen von folgender Annahme aus: Wenn das Biodiversitätsrisiko eingepreist ist, dürfte sich die Rendite dieser nach dem Biodiversitätsrisiko gruppierten Portfolios parallel zu ihrem aggregierten Biodiversity News Index bewegen, was einem effektiven Schutz vor dem Biodiversitätsrisiko gleichkäme.

Die Korrelationen zwischen der Rendite eines solchen Absicherungsportfolios und seinem Biodiversitätsrisiko-Index waren mit bis zu 0,2 positiv – ein Muster, von dem die Forscher sagten, dass es prägnant sei und vergleichbar mit denen von Klimaabsicherungsportfolios (bei einer Bewertung anhand von aggregierten Klimanachrichten). Das zeigt, dass die biologische Vielfalt zu einem genauso wichtigen Risikofaktor wird wie der Klimawandel.

Negative Renditeerwartungen

Eine andere Gruppe von Forschern analysierte Unternehmen in Branchen, die einen grossen ökologischen Fussabdruck haben – jene, die stärker von Ökosystemdienstleistungen und Naturkapital abhängig sind, zum Beispiel die Landwirtschaft. Sie stellten fest, dass Investoren eine höhere Entschädigung für Investitionen in Unternehmen verlangen, die negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben.

Diese Forscher der Emlyon Business School und des Zentrums für Wirtschafts- und Statistikforschung stellten eine "negative und signifikante" Auswirkung auf ihre erwarteten Aktienrenditen fest, d.h. die erwartete durchschnittliche Rendite von Aktien, die aus Optionspreisen berechnet wird.Coqueret, G. und Giroux, T.  A Closer Look at the Biodiversity Premium (21. Juli 2023). https://ssrn.com/abstract=4489550

„Diese Ergebnisse zeigen, dass die Märkte ähnlich wie beim CO2-Risiko davon ausgehen, dass die Biodiversität in den kommenden Jahren zu einem grossen Risikofaktor werden wird, insbesondere für Unternehmen, die am meisten auf eine naturbasierte Nutzung angewiesen sind“, so das Arbeitspapier.

Prämie an den Anleihemärkten

Eine weitere Studie befasste sich mit der Entstehung von Biodiversitätsrisiken an den Anleihemärkten.

Forscher aus Irland, Frankreich und der Schweiz verglichen die Credit Default Swaps (CDS) bzw. die Kosten für die Absicherung von Schuldtiteln vor einem Ausfall bei einer Laufzeit zwischen einem und zehn Jahren.Hoepner, A. et al, Beyond Climate: The Impact of Biodiversity, Water, and Pollution on the CDS Term Structure (8. Februar 2023). Swiss Finance Institute Research Paper No. 23-10, Michael J. Brennan Irish Finance Working Paper Series Research Paper No. 23-4 https://ssrn.com/abstract=4351633

Sie konzentrierten sich auf die Infrastrukturbranche, einen Sektor, der entscheidend für die Bewältigung der dreifachen planetaren Krise von Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt und Umweltverschmutzung ist und auf den fast 90 Prozent aller Klimaanpassungskosten entfallen.https://www.unep.org/resources/report/infrastructure-climate-action

Sie stellten fest, dass Unternehmen mit einem besseren Management der Biodiversitätsrisiken von bis zu 93 Basispunkten besseren relativen langfristigen Finanzierungskonditionen profitierten als die mit dem schlechtesten Management (siehe Abb. 2).

Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse, dass die Differenz über längere Kreditlaufzeiten – also der Verlauf über ein bis zehn Jahre – grösser war als bei Laufzeiten von ein bis fünf Jahren. Diese Abflachung der CDS-Kurve, so die Schlussfolgerung der Forscher, deutet darauf hin, dass Investoren diese Risiken als langfristige Probleme wahrnehmen.

Abb. 2 – Flachere Kurve

Ausmass der negativen Auswirkungen auf den CDS-Verlauf aus drei Umweltvariablen

Basierend auf monatlichen Regressionsergebnissen aus einem Stichprobenzeitraum zwischen Dezember 2007 und Januar 2018. Quelle: Hoepner, A. et al

„Um gefährdete Arten zu schützen oder natürliche Lebensräume zu erhalten, könnten Gesetze, die zum Beispiel den Bau von Strassen oder Schienen in Schutzgebieten verbieten, hohe zusätzliche Kosten für Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, mit sich bringen“, so die Studie.

Den Forschern zufolge könnten Rechtsvorschriften, die jetzt schon die Säuberungskosten für Unternehmen internalisieren, wenn sie innerhalb oder ausserhalb ihres Standorts die Umwelt verschmutzen, wie der US-amerikanische Clean Air Act, einer der Gründe für dieses Phänomen sein.

Biodiversität: Business as usual keine Option mehr

Der Preisbildungsmechanismus für das Biodiversitätsrisiko ist ein komplexes Phänomen, das sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln wird.

Das bedeutet jedoch nicht, dass Unternehmen und Investoren den Verlust der Artenvielfalt als Risikofaktor ignorieren können. Forschungen legen nahe, dass er bereits zu einer materiellen finanziellen Grösse geworden ist. Es ist wahrscheinlich, dass er zunehmend die Art und Weise beeinflusst, wie Unternehmen ihre Geschäfte betreiben, und wie Investoren ihr Kapital verteilen.

Die Taskforce for Nature-Related Financial Disclosures (TNFD), eine Branchenorganisation, die Finanzinstitute und Unternehmen mit Vermögenswerten von über 20 Bio. US-Dollar repräsentiert, hat gerade 14 Empfehlungen für die Offenlegung herausgegeben, die auf das Global Biodiversity Framework (GBF) abgestimmt sind. Weitere regulatorische Änderungen werden sicherlich folgen. 

Risiken für die biologische Vielfalt werden also immer mehr zu einem wichtigen Thema, das in den Vorstandsetagen von Unternehmen in aller Welt diskutiert werden wird.

Anhang: Eine schnell wachsende politische Szene

Internationale Abkommen, deren Ausarbeitung Jahrzehnte gedauert hat, kommen nun alle zustande und sind ein Beleg dafür, dass Politiker die Eindämmung der Zerstörung der Natur als dringliches Umweltproblem ansehen.

Und das acht Jahre, nachdem sich knapp 200 Länder in Paris darauf geeinigt hatten, die globale Erwärmung zu begrenzen – in einem weitreichenden Abkommen, das Finanzströme und Investmentportfolios an den Klimazielen ausrichtet. Mit dem Pariser Abkommen wurde auch die Risikoprämie für Unternehmen sowohl für die Risiken des Klimawandels als aus die physischen Risiken der globalen Erwärmung angehoben.https://www.bis.org/publ/bppdf/bispap130.pdf

Das Montrealer Abkommen vom Dezember 2022 könnte den gleichen transformativen Effekt haben und Unternehmen ermutigen, ihre Bemühungen zum Schutz der biologischen Vielfalt zu beschleunigen, und Investoren, Biodiversitätsrisiken bei der Zuteilung ihres Kapitals zu berücksichtigen.

AbkommenZiel

Pariser Klimaabkommen (2015)

Begrenzung des Anstiegs der durchschnittlichen globalen Temperaturen auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau

Global Biodiversity Framework (2022, Montreal)

Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt bis 2030 und Erholung und Wiederherstellung bis 2050

UN High Seas Treaty (2023, New York)

Schutz der biologischen Vielfalt der Meere und Verankerung des Verursacherprinzips

Demnächst voraussichtlich: UN Plastics Treaty (2023, Paris)

Beseitigung von Kunststoffabfällen durch Bekämpfung von Umweltverschmutzungsquellen während des gesamten Lebenszyklus - von der Produktion bis zur Entsorgung

Quelle: Vereinte Nationen